Nachtrag/ Abschlusseintrag
„Bitte schnallen Sie sich nun wieder an, klappen Sie die Tische ein und bringen Sie ihren Sitz wieder in die senkrechte Position. Soeben haben wir die Reiseflughöhe verlassen und beginnen mit dem Anflug auf Frankfurt“, teilt uns eine nette Stimme mit. Es ist die Stimme einer Stewardess und ich kann Europa schon durch mein kleines Fensterchen von oben sehen. Es scheint gutes Wetter zu sein und ich freue mich schon, wieder in einer anderen Umgebung zu leben und durch Blumenwiesen gehen zu können. 9 Monate war ich nun in Zentralamerika, genauer gesagt in San Carlos, Nicaragua, und habe dort im sozialen Bereich im Rahmen der Städtepartnerschaft Erlangen- San Carlos gearbeitet. Vor mittlerweile genau zwei Monaten war der große Abschied und ich machte mich wieder auf den langen Heimweg. Während dem Flug habe ich natürlich versucht einzuschlafen um nicht vollkommen kaputt nach Hause zu kommen, aber leider ist es mir nicht geglückt. Zu viele Gedanken schießen mir durch den Kopf, sodass ich nicht zu Ruhe kommen kann. Als wir dann tatsächlich zum Landen ansetzen, sehe ich die gelben Rapsfelder und die so akkurat angelegten Wiesen und weiß nicht wirklich, wie ich mich fühlen soll. Ich bin wieder da. Daheim. Zu Hause. In meiner Heimat. Aber was bedeutet das? Was macht das eigene Zuhause aus? „Zu Hause ist man da, wo man bleibt, wenn man geht.“, habe ich irgendwann mal gelesen und konnte mich ganz gut damit identifizieren. Demnach hätte ich jetzt aber 2 Heimatländer, denn gedanklich bin ich noch viel „drüben“… Das Flugzeug leert sich langsam und da es noch so früh am Morgen ist, sind wir die einzigen in den Hallen des Flughafens in Frankfurt. Alle reden wieder deutsch, ein paar englisch, aber von spanisch keine Spur mehr. Bei der Passkontrolle steht ein braungebranntes um die fünfzigjähriges Pärchen, das aus dem Florida- Urlaub zu kommen scheint, und meckern in einer Tour. Warum man jetzt hier so lang anstehen müsse und überhaupt. „Ich bin wieder in Deutschland.“, schießt es mir durch den Kopf und muss grinsen. Das klingt eigentlich negativ, wenn ich schlechte Laune mit meinem Heimatland verbinde. Und dennoch stimmt es irgendwie, auch wenn ich mein Land liebe. Mein Gepäck ist eines der ersten und dennoch gehe ich noch schnell auf die Toilette. Richtig aufgeregt bin ich nicht. Jedenfalls nicht mehr als in den letzten Tagen auch. Seit meiner Abreise ist mir insgesamt ein wenig unwohl im ganzen Körper und dieses Gefühl geht jetzt auch nicht weg. Ein kritischer Blick in den Spiegel um zu sehen, ob ich so meinen Liebsten entgegentreten kann. Sieht man mir meine zu vielen Kilos an? Werden sie es sofort sehen? Gedanken, die ich nicht haben möchte, und sie kommen mir dennoch. „Passt schon so.“, denke ich mir dann aber, denn ändern kann ich so schnell jetzt ja auch nichts mehr, lächle mir ermutigend zu und gehe raus um meine Koffer auf den Gepäckwagen zu hieven. Der Gepäckannahmeraum ist sehr lang und die Zolltür kommt immer näher. Man sieht schon ein wenig hindurch und kann Menschen entdecken, die auf ihre Familien, Freunde oder Arbeitskollegen warten. Was wohl die anderen gerade denken, die hier mit mir durch die Tür gehen? Waren sie nur auf Urlaub oder kommen sie nun auch wieder in eine so andere Welt zurück? Schon im Flieger ist mir bewusst geworden, dass in wenigen Stunden mein Auflandaufenthalt ganz vorbei sein wird. In den Moment, in dem ich durch die Zolltür gehe, ist die Reise beendet. Sich das bewusst zu werden ist irgendwie erschreckend. Genauso wie es für mich erschreckend ist, dass ich im Moment das Gefühl habe, dass ich eben nur mal im Urlaub war und nach 2 Wochen wieder komme. Es macht mich ärgerlich, denn ich möchte, dass mir diese lange Zeit immer präsent ist… Ich mache also den Schritt in mein altes Leben und schiebe meinen Wagen an den ersten Wartenden vorbei. Vor mir lösen sich zwei Menschen von einander und so sehe ich erst jetzt meine Eltern, meinen Freund und Freunde, die in einer Reihe da stehen und mich anstrahlen. Ich grinse und ich bin glücklich, wieder hier zu sein. Daheim.
Was hat mir dieser Auslandsaufenthalt nun aber gebracht? Oder hat er mir überhaupt etwas gebracht? Diese Frage kann wohl jeder, der etwas Ähnliches gemacht hat, sei es ein Austausch mit der Schule, Zivildienst oder FSJ, ganz sicher mit „Ja, es hat sich gelohnt.“, beantworten. Als ich mich vor eineinhalb Jahren dazu entschieden habe, ins Ausland zu gehen, habe ich das auch mit dem Gedanken gemacht, dass ich, ganz egal wie die Zeit für mich wird, nur eine positive Sache werden kann. Ob ich nun schlechte oder gute Erfahrungen mache, ich lerne etwas vonm Leben, über mich oder über andere. Vielleicht merke ich dann auch, dass Auslandsaufenthalte nichts für mich sind. Klar, dann geht es mir wahrscheinlich eine Zeit lang nicht wirklich gut, aber dann habe ich eben gemerkt, dass das nichts für mich ist und dass es besser ist, das in Zukunft nicht mehr zu machen.
„Und, wie war´s“, fragen mich in der ersten Zeit viele, die mich das erste Mal wieder sehen. Dann überlege ich, ob ich jetzt wirklich antworten soll oder kann, komme dann aber meistens zu den Schluss „Schön!“, zu sagen. Wie kann man schon eine so lange Zeit in einem Satz beschreiben. „Ja, es war einfach super!“ oder „Oh mein Gott, ich habe nie etwas Schlimmeres gemacht!“? Es gibt immer positive und negative Dinge, die man anbringen kann. Das ist fast immer im Leben so. Ein Mensch ist nicht einfach doof, nett, lieb, unfreundlich oder gemein. Und die Schulzeit ist auch nicht einfach nur lästig gewesen. Tage, Unterrichtsstunden, Lehrer oder Aktivitäten waren schön und man erinnert sich an sie doch immer gerne. Wenn ich nun also zurückdenke und eine allgemeine Stimmung über meinen Aufenthalt fühlen müsste, dann ist die auf jeden Fall gut. Und deshalb sage ich dann einfach, dass es toll war, wenn mich jemand fragt, wie es denn so war. Ich habe ein wunderschönes Land mit seinen Menschen, Traditionen und seiner Kultur kennen gelernt, war ein Teil Nicaraguas. Ich habe eine atemberaubend schöne Natur gesehen, die Gastfreundlichkeit der Nicaraguaner kennen gelernt, leckeres Essen probiert, feurige Tänze gesehen, Latinomusik gehört und anstatt mit meiner eigenen Familie mit einer anderen zusammen gelebt. Genauso habe ich aber auch die furchtbare Armut gesehen und selbst miterlebt, Ängste und Befürchtungen über die Zukunft des Landes geteilt und über die Gerechtigkeit der Welt gezweifelt. An dem einfachen und nicht sehr abwechslungsreichen Essen habe ich gemerkt, dass es sich dort grundsätzlich erst einmal einfach um Nahrungsaufnahme geht und sie deshalb oft Vitaminmangel oder sonstige Mängel haben. In Nicaragua hatte ich plötzlich eine ganz andere Freiheit. In Deutschland war ich an die Schule, meine Eltern und andere Vorgaben gebunden, konnte mich aber frei bewegen und letztendlich das machen, was ich wollte, da ich volljährig war. In Nicaragua war ich nun in Bezug auf Verpflichtungen absolut frei. Ich war eigentlich nur mir selbst verpflichtet und hätte immer gehen können, wenn ich wollte. Niemand hätte sich groß deswegen beschwert. Doch aufgrund der geographischen Lage San Carlos´ war ich nun nicht mehr in dem Sinne frei, als dass ich einfach mal in ne andere Stadt fahren kann. Ohne Fahrrad, Auto oder Straße ist es schwierig, spontan zu sein. Dafür kann man insgesamt spontaner sein, da man mehr Zeit als früher zur Verfügung hat. Dieser Zeitüberschuss mag einem erst einmal toll vorkommen und wünschenswert. Wenn man dann aber in der Situation ist, dann ist das so toll gar nicht mehr. Insgeheim möchte man doch gefordert werden und eine Aufgabe haben. Und selbst wenn ein paar Wochen Ferien toll und nötig sind, so muss das doch die Ausnahme bleiben um den erwünschten Effekt zu haben. In San Carlos wird einem keine Arbeit zugeteilt wie in der Schule, der Uni oder bei sonstigen Institutionen. Man muss sie sich selber suchen. „Was kann ich bitte tun? Gebt mir eine Arbeit, bitte!“, zu sagen war schon irgendwie seltsam wo ich mir während der Schulzeit doch immer gewünscht hatte, weniger zu tun zu haben. Nun hat man einmal Zeit, über sich selbst und sein Leben nach zu denken und da wird man manchmal schon melancholisch oder kommt zu Schlüssen, die man eigentlich gar nicht wissen möchte. Ohne die Wochenendausflüge und dann später den Beistand einer anderen Freiwilligen kann man schon mal verzweifeln, wenn man nichts zu tun hat. Mich hundertprozentig in die mir doch zu oberflächlichen Gesellschaft einzugliedern habe ich nicht hinbekommen und ist bei mir glaube ich auch nicht zu schaffen. Dafür bin ich zu anders und kann meine Prioritäten im Umgang mit meinen Mitmenschen nicht ganz abändern. Mir fehlte doch immer das wirklich Interesse am Anderen. Wirklich wissen zu wollen, wie es dem anderen geht, was ihn bedrückt oder fröhlich macht ist mir wichtig. Und nicht, mit wem er schon wieder rumgemacht hat oder wie furchtbar doch sein Outfit aussah. Man sagt, dass die Latinos so viel offener sind und sie es schwierig finden, mit z. B. Deutschen Freundschaften zu schließen. Es ist eine Tatsache, dass die Latinos schneller Freundschaften schließen. Nur ist damit nicht die Definition eine Freundschaft geklärt. Ein Amigo bin ich schon nach dem ersten Gespräch und auch wenn man sich später einmal öfters trifft, kommt man über eine oberflächliche Beziehung oft nicht hinaus. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, aber grundsätzlich hatte ich doch meist Gespräche mit Nicas, die mir nicht viel aus ihrem wahren Gefühlsleben gezeigt haben.
Mittlerweile bin ich wie gesagt schon genau 2 Monate wieder hier (Entschuldigung für den verspäteten versprochenen Nachtrag) und treffe immer wieder auf Leute, die mich noch nicht wieder gesehen hatten oder mich fragen: „Und, hast du dich inzwischen schon wieder richtig eingelebt?“. Um ehrlich zu sein ging mir dieses Sich- Wieder- Einleben ein wenig zu schnell. Ich kam an, fühlte mich wie nach einem kurz- Trip und alle nahmen mich wieder herzlichst auf. Da muss man als Außenstehender ja jetzt den Kopf schütteln, dass ich das dumm finde. Denn eigentlich wünscht man sich doch, dass man wieder genau so aufgenommen wird wie vorher… Aber irgendwie stellt man sich innerlich schon vor, dass sich irgendetwas verändert haben muss. Es können doch nicht einfach 9 Monate vergehen und alles ist so wie vorher! Oder doch? Erst schien es mir genau so zu sein und dann, nachdem man so eine Woche wieder da ist und wieder richtigen Kontakt zu seinen Lieben hat, merkt man, was sich verändert hat. Da ist man dann schon erst einmal überrascht, wie die Freunde nun in bestimmten Situationen reagieren, bei denen sie letztes Jahr noch anders gehandelt hätten. Aber da muss man sich nur ein wenig Zeit geben. Jeder entwickelt sich weiter und die Bundeswehr, Zivi, FSJ, Schule oder Studium prägen einen auch sehr stark… Dennoch hat es mich in den ersten Wochen ein wenig umgehauen und ich hatte den berühmten Durchhänger, was jedoch zum größten Teil an meiner Art liegt ;)
Dies ist nun also mein letzter Eintrag in meinem Blog und lesen wird ihn wahrscheinlich keiner mehr, da ich zu lange gewartet habe. Aber einfach mal so los zu schreiben tut einem selbst sehr gut und man therapiert sich beinahe selbst. Ich danke euch noch einmal für eure Treue. Es tut so unendlich gut zu wissen, dass andere an einem interessiert sind.
Alles Liebe von eurer Helenita